Gelungener Lückenschluß auf altem Grund
Den Domplatz in Stendal beherrscht "die reifste Schöpfung mittelalterlicher Architektur in Norddeutschland", der Dom St. Nikolaus. Im 12. Jahrhundert entstand an seiner Stelle zunächst ein romanischer Bau. Die heutigen Türme wurden im Unterbau in der Mitte des 13. Jh. errichtet. Der gotische Um- und Ausbau geschah 1423 bis 1472. Der Hohe Chor wurde 1429 fertiggestellt und 1463 wurden die Türme um ein Stockwerk erhöht.
An die einstige Marienkapelle und den westlichen Kreuzgang erinnerten nur noch erkennbare Giebellinien. Der Westflügel des Domes war am 8. April 1945 durch eine Fliegerbombe zerstört worden. ln der Nachkriegszeit wurde nach der Beseitigung der Bombenschäden die südwestliche Lücke im Domensemble mit einer Mauer verschlossen. Diese Einfriedung bestand noch vor drei Jahren. Im Zuge des Ersatzbaus für die zerstörten Teile von Kreuzgang und Stiftsgebäude des Doms St. Nikolaus fiel die Mauer.
Ende gut, alles gut. Der Westflügel des Stendaler Domstiftes wurde in diesen Tagen fertiggestellt, was die Evangelische Stadtgemeinde dazu veranlaßte, am Nikolaustag zu Führungen durch den neuen Westgiebel einzuladen. Statt der im ersten Entwurf vorgeschlagenen Stahlfassade füllt nun eine mit Fenstern aufgelockerte Feldstein- und Backsteinfront die Lücke zur Straße hin aus. Den Lückenschluß auf ursprünglichem Grund vollzog der Berliner Architekt Gerhard Schlotter. Er konnte schon bei der Auftragsübernahme stolz auf eine lange Reihe von Referenzobjekten in puncto Kircheninstandsetzungen sowie Um- und Ausbauten verweisen. Schiotter führte u. a. die Generalinstandsetzung der Grunewaldkirche durch, war mit der Instandsetzung, dem Um- und Ausbau der Ev. Kirche am Hohenzollernplatz betraut, wirkte an der St. Nikolaikirche in Berlin- Spandau und an der Genezarethkirche in Berlin-Neukölln. Auch bei anderen bekannten profanen Objekten hinterließ der Architekt seine Visitenkarte. Er modernisierte z. B. den Besucher- und Gastronomiebereich des Berliner Fernsehturmes auf dem Alexanderplatz und setzte die ruinöse barocke Anlage von Schloß Oranienburg instand. Architekt Gerhard Schiotter durfte nun nach dem berühmten Baumeister des 15. Jahrhunderts, Stephan Buxtehude, mit einem eigenen Bauwerkam Dom zu Stendal seine Spuren hinterlassen.
Die Westfassade des neu errichteten Kreuzgangflügels hat nichts mehr von der einstigen Strenge des zerstörten Vorgängerbaus. Der Flügel wirkt nicht abweisend, sondern öffnet sich mit großzügigem Eingang und zahlreichen Fenstern. Gemein hat er mit dem historischen Vorbild nur Baumaterialien aus Ziegel- und Naturstein sowie die historischen Grundmauern, die noch brauchbar waren. Das Bauwerk mit seinen insgesamt 16 Räumen auf zwei Etagen besticht durch zeitgemäßes Design, das sich harmonisch mit der alten Architektur verbindet. Der Neubau soll im Februar 2014 bezogen werden, hieß es. Regionalbischof Christoph Hackbeil und auch der Küster werden am Dom einziehen . Im Erdgeschoß befindet sich das Gemeindebüro, es gibt Seelsorger-, Jugend-, Beratungs- und Bewegungsräume. Auch die Evangelische Stadtgemeinde hat im Obergeschoß einen besonders schönen großen Raum für Zusammenkünfte, in dem die gelungene Verschmelzung von alter und neuer Architektur besonders gut zur Geltung kommt.
Die Planung des Kreuzgartens und der Außenanlagen lag in den Händen der Landschaftsarchitektin Katrin Lesser.
Quelle: Tangermünder Stadt-Anzeiger I November I Dezember 2013- S. 15